Mit ihrer Zollpolitik versucht die US-Administration fundamentale Handelsungleichgewichte mit dem Rest der Welt zu korrigieren. Das Leistungsbilanzdefizit der USA ist das größte weltweit; Länder wie China, Deutschland und Japan haben dagegen hohe Überschüsse.
4. November 2025
Aber für sich genommen ist das Leistungsbilanzdefizit nur begrenzt aussagekräftig. Es zeigt zwar, dass die USA mehr importiert als exportiert, aber viele Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen investieren ihr überschüssiges Kapital in den USA, vor allem in US-Treasuries, aber zunehmend auch in US-Aktien.
Zusammen bilden die Handels- und Kapitalströme die Zahlungsbilanz.
Wiederherstellung des Gleichgewichts: Motive und Auswirkungen
Was die USA wirklich wollen, ist schwer zu sagen, aber die jüngsten Entscheidungen legen nahe, dass es ihnen um die Senkung des Handelsdefizits, die Wiederherstellung eines Gleichgewichts der Investitionen sowie darum geht, einen größeren Teil der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Lasten in andere Länder zu verschieben.
Die US-Regierung hat offen gesagt, den US-Dollar instrumentalisieren zu wollen, um das Exportvolumen zu steigern und die eigene Industrie zu fördern. Auch mit breit angelegten Zöllen und bilateralen Handelsgesprächen wurde versucht, Länder mit Überschüssen dazu zu bringen, mehr US-Waren wie Waffen, Flüssigerdgas (LNG) und landwirtschaftliche Produkte zu kaufen und dadurch die Staatseinnahmen zu steigern.
Bislang haben diese Maßnahmen die Märkte volatiler gemacht. An den Mittelzuflüssen in die USA hat sich allerdings nicht viel geändert. Was sich aber geändert hat, ist deren Struktur. Die Nachfrage nach nicht währungsgesicherten Anleihen wurde durch den Anstieg der Zuflüsse in US-Aktien mehr als ausgeglichen.
Deshalb sind die Kapitalzuflüsse in die USA stabil geblieben – und der US-Haushalt nach wie vor extrem defizitär. Längerfristig könnte es aber strukturelle Veränderungen geben.
Mit Blick auf die aktuellen Verschiebungen sind unserer Meinung nach drei Szenarien denkbar.
1. Repatriierung von investiertem Kapital: Der Fall Taiwan
2025 wurden viel taiwanesisches Investmentkapital ins Land zurückgeführt, was starke Rallyes der Währung und der Aktienmärkte auslöste.
Ende April wertete der taiwanesische Dollar aufgrund der Repatriierung von Fremdwährungsanlagen schnell auf. Dies war ein Hinweis auf zwei wichtige Verschiebungen: Eine Veränderung der Kapitalallokation (taiwanesische Investoren könnten ihr USD-Vermögen verringern, weil Anlagen im eigenen Land attraktiver werden) und den Übergang der Zentralbank zu einem flexibleren Währungsregime, unterstützt durch die guten Fundamentaldaten des Landes.
Die für die Repatriierung maßgeblichen Faktoren – große ausländische Investitionen, starke oder sich verbessernde Fundamentaldaten und politische Unterstützung – sind nicht nur in Taiwan vorhanden. Länder wie Südkorea, Saudi-Arabien und Deutschland haben ein ähnliches Profil, dass Kapitalzuflüsse anziehen könnte.
Wie umfangreich diese Rückführungen sein werden, hängt von der US-Politik ab. In Taiwan spielen sowohl externe Faktoren wie die unsichere US-Politik, Rezessionsrisiken und Zweifel an der Kreditwürdigkeit der USA eine Rolle als auch interne, darunter bessere Fundamentaldaten außerhalb der USA. Zusammen könnten sie für eine weltweite Vermögensverschiebungen sorgen.
2. Verschiebungen ausländischer Direktinvestitionen (FDI)
Ein Thema, das sich im Laufe der Zeit herauskristallisiert hat und nun möglicherweise an Dynamik gewinnt, ist die Weltpolitik als Treiber ausländischer Direktinvestitionen. Sie beeinflusst zunehmend Entscheidungen, die früher vor allem auf Basis von Kostenüberlegungen getroffen wurden.
Ein Beispiel: Unternehmen strukturieren ihre Lieferketten neu, um weniger abhängig von China zu werden (ein als „China+1“ bekannter Trend), und weil sie weltpolitische Risiken und Zölle umgehen wollen. Zugleich exportiert China immer hochwertigere Güter, was andere Länder mit vielen Arbeitskräften und niedrigen Lohnkosten zwingt, sich auf die Ausfuhr von weniger hochwertigen Produkten zu verlegen.
Da die ausländischen Direktinvestitionen in China zurückgehen, gewinnen Länder außerhalb der großen Wirtschaftsblöcke an Attraktivität für Investoren und positionieren sich zunehmend als verbindende Akteure zwischen den USA, China und anderen bedeutenden Volkswirtschaften.
Unterdessen sinken auch die direkten Auslandsdirektinvestitionen der USA, während zur gleichen Zeit China immer mehr in Übersee investiert. Das Ergebnis scheint zu sein, dass Regionen außerhalb der USA ihre wirtschaftlichen und politischen Beziehungen stärken, sodass die protektionistische US-Politik zu einer engeren Zusammenarbeit anderer wichtiger Volkswirtschaften beiträgt.
3. Höhere Staatsausgaben in Europa
Die engere Zusammenarbeit innerhalb Europas verdeutlicht den Trend zu größerer wirtschaftlicher und strategischer Autonomie. Zugleich führen höhere Staatsausgaben – teils als Reaktion auf die US-Zölle auf europäische Importe, teils infolge des Ukrainekriegs – zu einer zusätzlichen Belastung der Haushalte.
Die Aufhebung der deutschen Schuldenbremse hat den Weg für einen enormen Anstieg der Staatsausgaben in Europa geebnet – mit dem Ziel den inländischen Konsum anzukurbeln und langfristiges Wachstum zu fördern.
Das Ergebnis könnte ein allmählicher Rückgang des Leistungsbilanzüberschusses und im Gegenzug weniger Rückführungen von Kapital in die USA sein. Dies gilt vor allem für europäische Länder mit hohen Sparquoten wie Deutschland, das schon lange viel überschüssiges Kapital in den USA investiert.
Wenn es Europa gelingt, sein Wachstum zu steigern, könnten US-Anlagen an Attraktivität verlieren, weil sich in der eigenen Region mehr Investmentchancen herausbilden. Dann könnte sich die Dynamik an den Finanzmärkten weltweit verändern.
Worauf man achten muss
Die drei Szenarien zeigen, welche Veränderungen im Welthandel und bei Investitionen bereits stattfinden. Während die USA weiter ihre America-First-Politik verfolgen, passt sich der Rest der Welt an neue Chancen und Herausforderungen an. Um in diesem Umfeld erfolgreich zu investieren, sind mehr Flexibilität und ein aktiveres Aktienmanagement erforderlich.