Aufgrund dieser Erkenntnisse trafen sich unsere ESG-Analysten und einer unserer Portfoliomanager mit Mitgliedern der Geschäftsleitung. Insbesondere wollten wir wissen, warum sich die Stimmung der Mitarbeiter verschlechtert hat, und erfahren, was das Unternehmen in puncto Erweiterung des Boards plant.
Wir halten es für wichtig, die Grenzen dieser Datenbanken zu akzeptieren. Oft handelt es sich um Vergangenheitsdaten, und häufig sind auch nicht alle Staatsanleihenemittenten berücksichtigt. Unsere Investmentexperten haben daher das Ziel, mit eigenen Analysen künftige Risiken zu erkennen und, wenn immer möglich, Risiken und andere Bedenken mit den Emittenten zu erörtern. Daten werden nicht isoliert betrachtet. Sie sollen vielmehr unsere Langfristeinschätzungen und den Dialog mit den Emittenten verbessern.
Warum das „G“ aus unserer Sicht für Staatsanleihen besonders relevant ist
Zurzeit liegt der Schwerpunkt unserer ESG-Scores für Staatsanleihen vor allem auf Governance-Kennzahlen. Weil es einen direkten Zusammenhang zwischen der Qualität der Governancefaktoren und der Fähigkeit eines Landes geben kann, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, haben Länder mit einer vorbildlichen Governance häufig besseren Zugang zu neuem Fremdkapital. Zudem sind ihre Finanzierungskosten niedriger.7
Nach einer Analyse mehrerer Länder zu den möglichen Auswirkungen von Governancefaktoren auf Entwicklung und Wachstum steht eine gemessen an den entsprechenden Indikatoren der Weltbank gute Governance, wie eine effiziente Regierung und Korruptionskontrolle, in direkter Verbindung mit einem hohen Pro-Kopf-BIP und hohem BIP-Wachstum im Zeitablauf.8
Kontrolle ist nur ein Aspekt
„Kontrolle ist nur ein Teil unseres Prozesses zur ESG-Integration und die Warnhinweise sind nur Signale“, sagt Anleihenanalyst Holger Siebrecht. „Verbesserungen oder Verschlechterungen sind nicht immer ein kontinuierlicher Prozess.“ Beispielsweise können die Governancedaten eines Landes steigen, während sich zugleich die Umweltdaten verschlechtern. Verbesserungen finden nicht in allen Bereichen zugleich statt.
Neben Fundamentalanalysen und -research sind aus unserer Sicht auch die Erfahrungen unserer Investmentexperten vor Ort entscheidend, um zu einer umfassenden und differenzierten Investmentthese zu gelangen. Unsere regelmäßigen Gespräche mit Regierungsvertretern (persönlich oder online) sind ein wichtiger Aspekt unseres Research- und Engagementprozesses. Wir verlassen uns nicht nur auf Roadshows. Stattdessen reisen unsere Staatsanleihenanalysten und -portfoliomanager häufig in die Länder, für die sie verantwortlich sind.
„Wenn sich unsere Investmentexperten bei Meetings und auf Roadshows bei Regierungen engagieren, betonen sie häufig, wie wichtig Transparenz, eine gute Governance und die Einhaltung internationaler Standards sind“, erläutert Anleihenportfoliomanagerin” Kirstie Spence. „Regierungen, die höchste Standards einhalten, können ihren Zugang zu Finanzmitteln verbessern und ihre Kapitalkosten senken.“
Für Emerging Markets könne eine gute ESG-Performance eine schwere Aufgabe sein, meint Spence: „Weil sie häufig noch am Anfang der Industrialisierung stehen, haben sie möglicherweise Probleme, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritte zu erzielen, die für eine Verbesserung ihres ESG-Profils notwendig sind.“
Deshalb engagieren sich unsere Analysten in manchen Fällen direkt bei den Regierungen, um diese ESG-Indikatoren besser zu verstehen. Nachdem ein Land mit einem Warnhinweis versehen wurde, folgen weitere Analysen, Diskussionen und manchmal Engagement beim Emittenten. „ESG-Probleme direkt anzusprechen, verbessert den Dialog mit Emittenten und hilft uns, unsere Einschätzungen zu präzisieren“, sagt Spence.
ESG-Kontrolle in der Praxis: Drei Länderbeispiele
Ein Warnhinweis löst intensivere Analysen und Nachforschungen unserer Investmentexperten aus.
In folgenden drei Fällen hat uns unser Kontrollprozess bei der Analyse von Staatsanleihen geholfen:
Angola: Verbesserungen der Governanceindikatoren haben die positive Einschätzung unseres Investmentanalysten bestätigt.
Im Zuge unserer Kontrolle des Landes im Jahr 2022 ergab sich, dass Angola nicht mehr länger mit einem Warnhinweis versehen war. Drei Worldwide Governance Indicators der Weltbank hatten sich verbessert:
- Effizienz der Regierung
- Qualität der Aufsichtsbehörden
- Korruptionskontrolle
Um diese Entwicklung genauer einzuschätzen, führten unsere Investmentanalysten eingehendere Analysen durch und kamen nach weiteren Prüfungen zu folgendem Ergebnis:
- Effizienz der Regierung: Die staatlichen Finanzstrukturen Angolas scheinen jetzt erheblich effizienter zu sein als in vergleichbaren Ländern.
- Qualität der Aufsichtsbehörden: Die Transparenz (einschließlich Datentransparenz) hat zugenommen, und viele Unternehmen außerhalb der Kernaufgaben des Staates wurden privatisiert, was eine bessere Aufsicht ermöglicht.
- Korruptionskontrolle: Seit die Lourenço-Regierung an der Macht ist, hat sich die Korruptionskontrolle erheblich verbessert.
Nach einem Engagement bei der Regierung, kontinuierlicher Beobachtung sowie eingehenden Analysen und Untersuchungen hielt der Investmentanalyst an seinem zuversichtlichen Ausblick für den Emittenten fest.
Guatemala: Soziale und governancebezogenen Probleme, auf die unser Kontrollprozess hingewiesen hatte, trugen dazu bei, dass wir bei dem Emittenten zurückhaltend waren.
Das Land hatte im Rahmen unseres Kontrollprozesses einen Warnhinweis erhalten, weil die Scores von zwei wichtigen Governance- und Sozialindikatoren unter dem BNE-bereinigten Zielwert lagen.
- Governance (G): 2019 hatte Guatemala eine von den Vereinten Nationen unterstützte Antikorruption-Abteilung aufgelöst. Daraufhin war es in beiden Governance Indicators der Weltbank beim Thema Korruptionskontrolle ins 12. Perzentil zurückgefallen.
- Soziales (S): Weil die Lebenserwartung in Guatemala zurückging, sank die entsprechende Kennzahl des Landes und lag nur noch im 34. Perzentil des UN Human Development Index.
Unser Analyst führte eingehende Analysen dieser Themen durch und kommt zu folgendem Schluss:
Durch das Korruptionspotenzial kann das politische Risiko steigen und die Fähigkeit des Landes beeinträchtigt werden, Finanzmittel vom IWF oder multilateralen Institutionen zu erhalten.
Der Rückgang der Lebenserwartung war vor allem eine Folge von COVID-19, aber die Sozialdaten dürften sich kurz- bis mittelfristig vermutlich nicht verbessern, weil kein Geld für öffentliche Dienstleistungen da ist.
Unser Anleihenanalyst ist der Ansicht, dass die aktuellen Kurse Anleiheninvestoren zurzeit nicht vollständig für die Verschlechterung des Kreditrisikos des Landes kompensieren, was zum Teil auf die stärkeren ESG-Bedenken zurückzuführen ist.
Pakistan: Umwelt-, Soziale und governancebezogenen Probleme, auf die unser Kontrollprozess hingewiesen hatte, trugen dazu bei, dass wir den Emittenten zurückhaltend einschätzten.
Unser Prozess signalisierte, dass Pakistan bei einigen ESG-Indikatoren schon immer schlecht abgeschnitten hat.
- Wassermangel
- Schwaches Bildungssystem
- Mehrere zu niedrige Governanceindikatoren
Deshalb hatte unser System den Emittenten mit einem Warnhinweise versehen, sodass einer unserer Investmentanalysten weitere Untersuchungen anstellte.
Er prüfte die betroffenen Punkte genauer und kam zu dem Ergebnis, dass diese Risiken die Wachstumsaussichten des Landes beeinträchtigen dürften.
Er merkte an, dass es in den letzten Jahren zwar einige Reformen gegeben hätte, es aber an der Umsetzung hapere. Hinzu kam, dass die bevorstehenden Wahlen die Regierung aus seiner Sicht noch stärker in ihrer Fähigkeit einschränken würden, Verbesserungsmaßnahmen durchzusetzen.
Der Investmentanalyst gelangte zu der Einschätzung, dass die Möglichkeit von Reformen und erheblicher finanzieller Unterstützung zwar für Anlagen in pakistanische Staatsanleihen spräche, diese aber nur dann attraktiv wären, wenn eine hohe Risikoprämie gezahlt würde.9
Unternehmensbeispiele nur zur Illustration. Diese Angaben dienen nur der Information. Sie sind kein Angebot, keine Aufforderung und keine Empfehlung zum Kauf oder zum Verkauf der hier erwähnten Wertpapiere.
Abschließende Überlegungen
Die Kontrolle wichtiger externer Daten ist ein zentraler Punkt unserer ESG-Integration in den Investmentprozess. Aber unsere Anlageentscheidungen beruhen immer auf Grundlage einer langfristigen Perspektive, Engagement und Analysen – niemals ausschließlich auf den Ergebnissen unserer Kontrollen.
Wir werden unsere Methoden zur Einbindung von ESG-Faktoren in unseren Investmentansatz für Staatsanleihen weiter optimieren. Wenn sich die Datenquelle verbessern, könnten sich die von uns für den Kontrollprozess genutzten ESG-Daten ändern.
Niemals verändern werden sich aber die Gründe für unsere Bemühungen: Wir sind überzeugt, dass die Einbindung von Informationen zu wesentlichen ESG-Risiken und -Chancen in unser Research und unsere Analysen hilft, die langfristigen Ergebnisse unserer Investoren zu verbessern.