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Marktvolatilität
EZB hebt ihren Leitzins an, aber Zweifel an der Finanzstabilität belasten den Ausblick
Robert Lind
Volkswirt

Fund holdings in Credit Suisse, Signature Bank and SVB Financial Group

As of 2/28/2023

IM ÜBERBLICK
  • Die Europäische Zentralbank hat ihren Leitzins auf ihrer Sitzung am 16. März wie versprochen um 50 Basispunkte angehoben – trotz der Turbulenzen an den Finanzmärkten und der Sorge um den europäischen Bankensektor.
  • Im Grunde genommen hatte sich die EZB bereits bei ihrer letzten Sitzung Anfang Februar auf eine Erhöhung um 50 Basispunkte festgelegt. Die Umsetzung dieses Plans trotz der volatilen Märkte zeigt, dass die Falken eine weitere Runde des Streits um die Geldpolitik gewonnen haben.
  • Aber in den nächsten Monaten wird das Umfeld noch schwieriger werden. Dessen ist sich die EZB bewusst, und deshalb hat sie auch keine Aussage zu ihrer künftigen Geldpolitik getroffen. Sie sagte, sie würde die Finanzrisiken im Auge behalten, räumte aber auch Bedenken ein, weil die Inflation über ihrem Zielwert liegt. Die Geldpolitik hängt jetzt wirklich von den Daten ab.

Die EZB-Projektionen berücksichtigen nicht die jüngsten Marktturbulenzen.


Kurz vor Bekanntgabe des Ergebnisses der Sitzung berichtete Bloomberg, dass EZB-Vizepräsident Luis de Guindos Anfang der Woche ein Gespräch mit den Euroraum-Finanzministern geführt habe. De Guindos habe ihnen gesagt, dass die europäischen Banken nicht sehr stark in die SVB investiert seien, aber auch ihre Anfälligkeit für die Folgen hoher Zinsen eingeräumt, weshalb die Zentralbanker vorsichtig sein müssten, weil ein Vertrauensverlust weitreichendere Folgen haben könne. Nach seinen Äußerungen befragt, antwortete de Guindos, die europäischen Banken seien „stabil“.


Neben der Bekanntgabe ihrer Zinspolitik veröffentlichte die EZB ihre aktuellen Konjunkturprognosen. Sie waren Anfang März erstellt worden, also vor den jüngsten Turbulenzen an den Finanzmärkten. Die Volkswirte der EZB hatten ihre BIP-Wachstumsprognosen für das Jahr 2023 angehoben (von 0,5% im Dezember auf jetzt 1,0%) und ihre Prognosen des realen BIP-Wachstums für 2024 und 2025 gesenkt (von 1,9% auf 1,6% und von 1,8% auf ebenfalls 1,6%).


Außerdem rechneten sie mit weniger Gesamtinflation über den Prognosezeitraum, vor allem aufgrund niedrigerer Energiepreise. Die Kerninflation, die Nahrungsmittel und Energie ausschließt, sollte den Prognosen zufolge 2023 eher hoch sein, aber aufgrund der Auswirkungen der höheren Zinsen, eines etwas stärkeren Euro und der deshalb nachlassenden Nachfrage in den beiden Folgejahren deutlich zurückgehen.


EZB-Geldpolitiker orientieren sich weiterhin an Daten und nicht an Prognosen


In den letzten Quartalen hat die EZB ihre Entscheidungen immer weniger an den Prognosen ausgerichtet. Sie hat weniger auf ihre Inflationsprojektionen vertraut und stattdessen auf die tatsächlichen Inflationsdaten geachtet. Mit diesem Ansatz hat sie ihre deutliche Straffung der Geldpolitik in den letzten Quartalen gerechtfertigt. Durch die jüngsten Marktturbulenzen sind die Projektionen noch unsicherer geworden, sodass die Geldpolitiker ihnen noch weniger vertrauen. Offensichtlich muss die EZB jetzt bei ihren geldpolitischen Entscheidungen die Risiken einer höheren Inflation und einer noch größeren Instabilität des Finanzsystems gegeneinander abwägen.


In ihrer Pressekonferenz sagte EZB-Chefin Christine Lagarde, dass eine Rückführung der Inflation auf ihren Zielwert und Finanzstabilität einander nicht ausschließen würden. Aus ihrer Sicht würde sich durch eine niedrigere Inflation auch das Finanzsystem stabilisieren. Auf die Frage nach der künftigen Geldpolitik antwortete Lagarde, dass sie, wenn die Basisprojektionen der EZB korrekt seien, straffer würde. Sie räumte aber auch ein, dass die jüngsten Marktturbulenzen diese Basisprojektionen unsicherer gemacht hätten. Vor diesem Hintergrund war Lagarde nicht bereit, sich eindeutig zur künftigen Geldpolitik zu äußern.


Die EZB folgt dem Vorbild der Bank of England, die Märkte reagieren auf straffere Finanzbedingungen


Mit der Rechtfertigung ihrer Entscheidung, heute die Leitzinsen zu erhöhen, geht die EZB genauso vor wie die Bank of England nach dem Einbruch ihrer Staatsanleihen im letzten Herbst. Momentan ist die EZB überzeugt, dass sie mit unterschiedlichen Maßnahmen die Herausforderungen der hartnäckig hohen Inflation und der wachsenden Risiken für die Finanzstabilität meistern kann.


Dennoch werden sich durch die jüngsten Marktturbulenzen die Finanzbedingungen verschlechtern. Deshalb könnten die Banken im Euroraum noch weniger Kredite vergeben, wodurch Wachstum und Inflation vermutlich zurückgehen würden. In Großbritannien ist dies passiert, ausgelöst durch die Anhebung der Hypothekenzinsen nach dem starken Anstieg der Staatsanleihenrenditen. Zweifellos hat dies dazu beigetragen, dass die Bank of England einräumte, dass die Leitzinserwartungen der Märkte zu stark gestiegen seien.  Ich gehe davon aus, dass wir solche Aussagen auch von der EZB hören werden, wenn die Märkte volatil bleiben.


Auswirkungen für Anleger: Welche Folgen hatte dies für die Leitzinsaussichten?


Der Schock des Zusammenbruchs der SVB und die Befürchtungen im Zusammenhang mit der Crédit Suisse haben die künftige Geldpolitik noch unsicherer gemacht. Im Euroraum lässt die aktuelle Verschlechterung der Finanzbedingungen ein niedrigeres Leitzinsmaximum vermuten, als die Investoren vor den Ereignissen der letzten Woche erwartet hatten. Möglicherweise ist der Maximalzins jetzt oder bald erreicht.


Allerdings könnten die inflationshemmenden Faktoren und die Instabilität des Finanzsystems zwar zu einer weniger straffen Geldpolitik führen, aber aufgrund der noch immer bestehenden Bedenken, dass die Inflation hoch bleibt, könnten die Zentralbanken ihren Maximalzins auch durchaus länger beibehalten.


Tighter financial conditions imply lower terminal rates

Implied policy rates (post ECB press conference

As at 17 March 2023. Source: Bloomberg


Robert Lind ist Volkswirt bei der Capital Group. Er hat 33 Jahre. Branchenerfahrung, davon vier Jahre bei der Capital Group. Er hat einen Bachelor in Philosophie, Politik und Volkswirtschaft (PPE) von der Universität Oxford. Lind arbeitet in London.


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