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Marktvolatilität
Der Westen ist sich einig
John Emerson
Stellvertretender Vorsitzender, Capital Group International, Inc.

Russlands militärischer Angriff der Ukraine ist der erste Krieg auf europäischem Boden seit Generationen. Millionen von Menschen sind betroffen, und eine enorme humanitäre Krise steht bevor, weil viele gefährdete Ukrainer Schutz suchen oder ihre Heimat verlassen. Die Verschärfung und Ausbreitung des Konflikts ist bestürzend und sorgt für großes Leid der Menschen.


In diesem Artikel geht es um die möglichen Folgen des Konflikts für Märkte und Konjunktur.


Seit dem 9. September 2011 war sich das transatlantische Bündnis nicht mehr so einig wir jetzt. Es ist sehr bemerkenswert, wie schnell Europa und die USA in Reaktion auf Putins grundlosen Krieg auf europäischem Gebiet zusammengefunden haben – nach Jahren der Skepsis und gegenseitigen Beschuldigungen, sei es wegen der Finanzierung der NATO, der Einführung von Sanktionen nach dem Beginn des Kriegs Russlands gegen die Ukraine 2014, des Brexit oder der America-First-Kampagne von Trump.


Immer mehr internationale Sanktionen gegen Russland

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Quellen: Capital Group, Council of the European Union, U.K. Foreign, Commonwealth and Development Office, U.S. Department of the Treasury, U.S. State Department. Stand 7.März 2022. Hinweis: SWIFT steht für Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication. Die Gesellschaft betreibt eine Meldungs- und Zahlungsplattform, die von über 11.000 Finanzinstituten genutzt wird. Unter „Goldener Pass“ versteht man die Einbürgerung von Ausländern und ihren engsten Familienangehörigen über ein spezielles Programm, bei dem die Staatsbürgerschaft als Gegenleistung für Investitionen erteilt wird. 

Seit über zwanzig Jahren drängen die USA Deutschland zur Erhöhung seines Verteidigungsbudgets, zum Stopp von Nord Stream 2 und zu mehr Unabhängigkeit vom russischen Gas. Aber innerhalb von 72 nach dem Beginn der Invasion Russlands in die Ukraine signalisiert Bundeskanzler Olaf Scholz eine radikale Wende in mehreren bislang unantastbaren Bereichen der deutschen Außenpolitik: Die Verteidigungsausgaben werden sehr bald über 2% des deutschen BIP ausmachen (Sofortinvestitionen von 100 Milliarden Euro); deutsche Waffen dürften in die Ukraine geschickt werden, und Nord Stream 2 liegt auf Eis.


Erstaunlicherweise hat auch die bislang immer neutrale Schweiz den Sanktionen der EU gegen Russland zugestimmt. Unter anderem werden russische Vermögen auf Schweizer Banken eingefroren. Selbst traditionelle Unterstützer Russlands wie der Präsident der tschechischen Republik Miloš Zeman haben den Angriff auf die Ukraine verurteilt und forderten harte Sanktionen.


Wir sollten uns darauf einstellen, dass sich Russland für diese bislang einzigartigen Sanktionen rächen wird. Möglicherweise senkt die Öl- und Gaslieferungen an Ländern, die sich an den Sanktionen beteiligen stark oder stellt sie ganz ein. Vielleicht wird auch der Export von Titan oder anderen wichtigen Metallen eingeschränkt. Eine solche Senkung der Öl- und Gasexporte kostet Russland Geld, das es dringend benötigt. Vermutlich wird China einspringen – zu Schleuderpreisen. Darüber hinaus hat Putin die Zeit seit der westlichen Sanktionen in Reaktion auf die Annexion der Krim im Jahr 2014 genutzt, um die russischen Barreserven aufzustocken und Russland weniger anfällig zu machen.


Außerdem müssen wir uns auf mögliche Cyberattacken gegen europäische und US-amerikanische Kommunikations-, Energie- und Finanzsysteme vorbereiten.


Deutschland sucht Möglichkeiten, seine Gasimporte aus Russland zu mindern und plant stattdessen Flüssiggas zu importieren. Das ist kompliziert, weil Deutschland in den letzten Jahren versäumt hat, seine Wiederverdampfungsanlagen in den Nordseehäfen fertig zu bauen. Daran, dass die Energiekosten in Europa durch die Decke gehen werden, bestehen kaum Zweifel. Dies wiederum dürfte die Inflation in die Höhe treiben und das Wachstum bremsen.


Trotz alldem hat sich Putin zwei Mal verrechnet: Erstens hat er nicht erwartet, dass der Westen so schnell zusammenrückt, wie er es getan hat – trotz der Europas Abhängigkeit von russischen Energieträgern, einer neuen Regierung in Deutschland und möglichen innenpolitischen Herausforderungen von US-Präsident Biden, dem britischen Premierminister Boris Johnson und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Zweitens hat er den Widerstand der ukrainischen Armee und Zivilbevölkerung unterschätzt.


Pandemie, Inflation, Krieg: Kein guter Start ins neue Jahr

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Quellen: MSCI, RIMES, Standard & Poor’s. Stand 3. April 2022. Quellen: MSCI, RIMES, Standard & Poor’s. Stand 3. April 2022.

Dennoch wird es aus meiner Sicht am Ende auf einen „hässlichen Frieden“ hinauslaufen. Russland wird die Infrastruktur des Landes erheblich beschädigen und am Ende die Kontrolle über die Ostukraine übernehmen. Es ist schwer vorstellbar, dass Putin zum jetzigen Zeitpunkt einen Rückzieher macht, es sei denn, es gibt massiven Widerstand innerhalb Russlands. Ich gehe davon aus, dass der Krieg zunächst noch schlimmer wird, bevor er nachlässt.



John Emerson ist stellvertretender Vorsitzender von Capital Group International, Inc. John verfügt über 19 Jahre Branchenerfahrung (Stand 31.12.19), alle bei Capital Group. Von 2013 bis 2017 war er US-Botschafter in Deutschland. Davor war er Präsident von Capital Group Private Client Services.


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