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Europa: Gründe für Optimismus … und Vorsicht
Martyn Hole
Investment-Direktor

Das Umfeld in Europa gestaltet sich zunehmend positiv, aber es gibt Risiken, die für Vorsicht sprechen. In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf die Gründe dafür.


 


Europa hat im bisherigen Jahresverlauf eine Erholung vollzogen


Die europäische Konjunkturerholung ist bereits in vollem Gange: Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den wichtigsten europäischen Volkswirtschaften war im zweiten Quartal stärker als erwartet, insbesondere in Italien und Spanien. Mit der Öffnung der europäischen Volkswirtschaften hat sich der Dienstleistungssektor stark erholt, was durch die Lockerung der Mobilitätseinschränkungen noch verstärkt wurde. Dies ist besonders wichtig für Volkswirtschaften wie Spanien und Italien, die auf die Sparten Tourismus und Gastgewerbe angewiesen sind. Auch die Produktionstätigkeit nimmt weiter zu und treibt die Erholung in der Eurozone voran. Robert Lind, Ökonom bei Capital Group, glaubt, dass die großen Volkswirtschaften Europas das Vor-Pandemie-Niveau des BIP früher als erwartet wiedererlangen könnten.


 


Da die Regierungen die Haushaltseinkommen schützen und die Verbraucher nicht in der Lage sind, ihr übliches Konsumniveau aufrechtzuerhalten, sind die Sparquoten gestiegen. Dies könnte die aufgestaute Nachfrage bei den Verbrauchern freisetzen, von der viele Unternehmen profitieren würden. Wir können bereits erste Anzeichen dafür erkennen, da die Dynamik bei den Einzelhandelsumsätzen und beim Verbrauchervertrauen zunimmt.


Angesichts des größeren Optimismus über eine Konjunkturerholung in Verbindung mit der guten Ertragslage der Unternehmen konnten europäische Aktien im Jahr 2021 bisher starke Gewinne verzeichnen. Der MSCI Europe Index hat sieben Monate in Folge positive Renditen erzielt und ist im bisherigen Jahresverlauf auf Euro-Basis um fast 20 %2 gestiegen. Gleichwohl sind vergangene Ergebnisse keine Garantie für zukünftige Ergebnisse.


 


In Zukunft könnten wir ein langsameres Wachstum erleben


Lind ist jedoch der Ansicht, dass es zwei entscheidende Gegenwinde gibt, die dafür sorgen, dass sich das Wachstum im restlichen Jahresverlauf voraussichtlich abschwächen wird.


 


1. Die rasche Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus könnte die Erholung untergraben, insbesondere im Herbst, obwohl die Regierungen offenbar zögerlich scheinen, wieder strenge Ausgangssperren durchzusetzen.


Die größten Länder Europas haben im Laufe des Sommers unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Der jüngste Anstieg der Fälle in Spanien hat zu einer deutlichen Beschleunigung bei den Impfungen geführt. In Frankreich haben die Behörden einige Beschränkungen erneut verschärft, um die langsameren Fortschritte bei den Impfungen auszugleichen. Bisher haben Italien und Deutschland niedrigere Fallzahlen verzeichnet, da die Regierungen bei der Lockerung der Beschränkungen vorsichtig waren. Sie haben ihre Impfprogramme aufrechterhalten, auch wenn es in letzter Zeit zu einer Verlangsamung kam.


Im Vereinigten Königreich sind die Infektionsraten gestiegen und das Impftempo ist deutlich gesunken. Die Regierung hat zwar die Beschränkungen weiter gelockert, aber es gibt Anzeichen dafür, dass die Menschen in ihrem Verhalten immer noch vorsichtig sind, was das Wirtschaftswachstum im Laufe des Sommers etwas gebremst hat. Das britische Experiment legt nahe, dass es bei einer weiteren Infektionswelle im Herbst Abwärtsrisiken für das Wirtschaftswachstum gibt, entweder als Reaktion auf strengere staatliche Beschränkungen oder aufgrund einer anhaltenden Verhaltensänderung von Verbrauchern/Unternehmen.


 


2. Es wird zunehmend befürchtet, dass das Wachstum in den USA und China bereits seinen Höhepunkt erreicht haben könnte. Die europäische Wirtschaft könnte es schwer haben, sich dem Sog ihrer größten Handelspartner zu entziehen.


Die Entwicklung des Virus und der Impfungen in den USA steht nicht mehr im Einklang mit der prognostizierten Rückkehr zur Normalität in der Binnenwirtschaft bis zum Jahresende 2021. In Teilen des Landes werden einige Öffnungsschritte wieder rückgängig gemacht, und auch wenn diese Maßnahmen gering sein mögen, hat sich der Kurs doch deutlich geändert. Dies deutet darauf hin, dass sich die Rückkehr zum Gleichgewicht – wo Angebot und Nachfrage für Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräfte ausgewogener sind – wahrscheinlich verzögern wird und die „Verzerrungen“ – in erster Linie eine höhere Inflation – eher anhalten werden.


In China waren die jüngsten Wirtschaftsdaten schwach, und das
Wachstum ging schneller zurück als erwartet, da die Delta-Variante und Überschwemmungen den Geschäftsbetrieb störten. Angesichts der bereits stattfindenden industriellen Verlangsamung und der Wahrscheinlichkeit, dass der Verbrauchersektor aufgrund der COVID-Delta-Welle einen weiteren Rückschlag erleidet, dürfte sich die chinesische Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte abschwächen.


Trotz dieser Unsicherheiten sollten die Bewertungen die europäischen Aktienmärkte vor jeder Wachstumsenttäuschung schützen


Der europäische Aktienmarkt ist in den letzten 13 Jahren hinter den USA zurückgeblieben. Ein Grund dafür ist, dass sich die US-Wirtschaft nach der globalen Finanzkrise schneller erholt hat, unterstützt durch die Geldpolitik und quantitative Lockerung. Im Gegensatz dazu hat Europa einen konservativeren Ansatz bei der Haushaltsdisziplin verfolgt, der eine andere Wirtschaftsentwicklung zur Folge hatte.


Zweitens unterscheidet sich die Indexzusammensetzung des S&P 500 erheblich von der des MSCI Europe. Im Vergleich zum S&P 500, in dem die Sektoren Informationstechnologie und Kommunikationsdienstleistungen eine höhere Gewichtung aufweisen, ist der MSCI Europe stärker in den Sektoren Energie, Grundstoffe, Versorgung und Finanzen gewichtet. In den letzten zehn Jahren haben Technologiegiganten wie Alphabet, Apple, Amazon, Facebook und Microsoft die Aktienrenditen in den USA und weltweit vorangetrieben, was durch ein starkes Gewinnwachstum untermauert wurde. Konjunkturabhängige Sektoren wie Energie, Grundstoffe, Industrie und Finanzen, die den europäischen Index dominieren, blieben im gleichen Zeitraum hinter den Erwartungen zurück und haben ein geringeres Gewinnwachstum verzeichnet, was das relative Gewinnwachstum und die Differenz zwischen den Renditen verursachte.


Trotz dieses unsicheren Umfelds ist es unseres Erachtens möglich, unter den in Europa notierten Aktien zahlreiche interessante längerfristige Anlagemöglichkeiten ausfindig zu machen. Die Konjunkturabschwächung und die Unternehmensgewinne dürften mild ausfallen, und die großen europäischen Volkswirtschaften und Märkte sollten weiterhin von der Lockerung der Mobilitätseinschränkungen profitieren. Vor allem einige ausgewählte Unternehmen in den unten aufgeführten Sektoren waren während der Pandemie widerstandsfähig und haben sich weiterhin an das sich wandelnde Wirtschafts- und Marktumfeld angepasst und dieses gemeistert.


• Online- und stationäre Wett- und Gaming-Unternehmen können weiterhin vom Online-Gaming, von der Wiedereröffnung der Wettbüros in den lokalen Einkaufsstraßen und einem Sommer mit Sportveranstaltungen profitieren.


• Online-Einzelhändler wie Ocado können auch in einer Welt nach COVID weiterhin ein gutes Geschäft machen. Die Umstellung auf Online-Lebensmitteleinkäufe wird sich fortsetzen, da die Teilsektoren des Einzelhandels in Europa weiterhin kaum ausgeschöpft sind.


• Luxusgüter: Die aufgestaute Nachfrage hat das Potenzial, Unternehmen in diesem Sektor einen erheblichen Aufschwung zu verschaffen. Europäische Unternehmen wie LVMH, Richemont und Kering dominieren den Luxusgütermarkt, und das Wachstum in diesem Sektor wird hauptsächlich von chinesischen Verbrauchern vorangetrieben. Obwohl die jüngsten Nachrichten über Chinas Initiativen zur Umverteilung des Vermögens zu einem Rückgang bei Aktien geführt haben, ist unser Analyst der Ansicht, dass bestimmte Unternehmen in diesem Sektor weiterhin langfristige Kaufgelegenheiten bieten.


• Industrie: Luft- und Raumfahrt- sowie Verteidigungsunternehmen profitieren von der Rückkehr des internationalen Reiseaufkommens und der Wiederaufnahme der Produktion von Flugzeugen für Boeing und Airbus.


• Versorger: Viele Länder in Europa fördern im Rahmen ihrer Konjunktprogramme nach der Pandemie saubere Energien, sodass die Fundamentaldaten der größten Unternehmen für saubere Energie in Europa nach wie vor stark sind.


 


1. Stand: August 2021. Quellen: Prognosen von Bundesbank, INSEE, ISTAT, INE und CG.


2. Stand: 30. August 2021. Quelle: MSCI


3. Stand: 31. März 2021. Quelle: Factset



Martyn Hole ist Investmentdirektor für Aktien bei Capital Group. Er verfügt über 39 Jahre Erfahrung in der Investmentbranche und ist seit 18 Jahren bei Capital Group tätig. Bevor er zu Capital kam, arbeitete er bei J.P. Morgan Asset Management. Er hat einen Master-Abschluss in Natur- und Ingenieurwissenschaften mit Auszeichnung von der University of Cambridge. Außerdem ist er Chartered Financial Analyst®. Martyn Hole ist in London tätig.


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