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US-Aktien
Sind die Technologieriesen zu groß geworden?
Mark Casey
Aktienportfoliomanager
Brad Barrett
Research Director
Tracy Li
Investmentanalystin

Kann ein Unternehmen zu erfolgreich, zu einflussreich und einfach zu groß sein? Wir werden es vielleicht in den kommenden Monaten und Jahren herausfinden, da die weltgrößten Technologie- und Unterhaltungselektronikunternehmen zunehmend aggressiven kartell- und aufsichtsrechtlichen Prüfungen unterliegen.


Die Regierungen sind schon seit Jahren bemüht, die Technikriesen zu zügeln, aber das Jahr 2021 wird wahrscheinlich ein Wendepunkt sein, da der Druck von mehreren Seiten wächst. Politische, gesellschaftliche und marktwirtschaftliche Kräfte verbünden sich, um diese Unternehmen - Alphabet, Amazon, Apple, Facebook, Microsoft und andere - auf den Prüfstand zu stellen.


„Die schiere Größe dieser Unternehmen bedeutet, dass sie von allen Teilen der Gesellschaft, einschließlich der Regierung und der Aufsichtsbehörden, genau unter die Lupe genommen werden“, erklärt Mark Casey, Portfoliomanager bei Capital Group, der sich seit mehr als 20 Jahren mit der Technologiebranche beschäftigt.


 


„Einige dieser Unternehmen haben auch bei den letzten beiden US-Präsidentschaftswahlen eine Schlüsselrolle gespielt“, so Casey. „Wenn man die Politik ins Spiel bringt, erklärt das, warum diese aufsichtsrechtlichen Diskussionen im Moment sehr präsent sind.“


Darüber hinaus hat die COVID-19-Pandemie das Wachstum vieler Technologieunternehmen beschleunigt und ihre Macht und ihren Einfluss während eines schweren globalen Wirtschaftsabschwungs vergrößert. Fünf der zehn nach Marktkapitalisierung größten US-Unternehmen sind Technologie- oder Digitalunternehmen, und ihr Gesamtmarktwert übersteigt 7 Billionen US-Dollar - eine Zahl, die allein im letzten Jahr um 54 % gestiegen ist.


 


Richtungsweisende Rechtsstreitigkeiten zeichnen sich ab


Mit diesem Thema sind erhebliche kartellrechtliche und regulatorische Risiken verbunden:


• Im Oktober reichte das US-Justizministerium eine Kartellklage gegen Google ein, da der Internetriese angeblich den Wettbewerb behindert. Es ist das größte Kartellverfahren, seit die Regierung 1998 Microsoft ins Visier nahm.


• Im Dezember verklagte die Federal Trade Commission Facebook wegen ähnlicher Vorwürfe, wonach das Social-Media-Netzwerk bei der Übernahme von Instagram und WhatsApp wettbewerbswidrige Praktiken angewandt habe.


• Viele US-Bundesstaaten haben sich diesen beiden richtungsweisenden Klagen angeschlossen, während gleichzeitig unzählige Gesetzesinitiativen auf Landes- und Bundesebene in Arbeit sind.


• Ein Gesetzentwurf, der letzte Woche in den US-Senat eingebracht wurde, könnte es großen Unternehmen erschweren, Konkurrenten zu übernehmen. In Florida erwägen die Gesetzgeber des Bundesstaates ein Gesetz, das Social-Media-Unternehmen eine Geldstrafe auferlegen würde, wenn sie politische Kandidaten von ihren Plattformen ausschließen.


„Dass die Sache so kompliziert ist“, merkt Casey an, „liegt teilweise daran, dass die Demokraten eine ganze Reihe von Problemen mit diesen Unternehmen haben - größtenteils aufgrund von Bedenken in Bezug auf kartellrechtliche Aspekte, Datenschutz und Hasskommentare, während die Republikaner andere Probleme haben, besonders wenn es um die wahrgenommene Zensur konservativer Standpunkte geht. Es gibt also kein unkompliziertes Szenario, bei dem diese Unternehmen einfach ein paar Änderungen vornehmen können und alle zufrieden sind.“


Ein weiteres Element, das den Regulierungsdruck beschleunigt hat, ist die jüngste Episode um eine Gruppe von Kleinanlegern, die sich in einem Internet-Chatboard organisiert haben, um die Aktienkurse von GameStop, AMC Entertainment und anderen angeschlagenen Unternehmen in die Höhe zu treiben. Als Brokerfirmen und Trading-Apps Handelslimits einführten, verloren einige dieser Kleinanleger viel Geld. In einem seltenen parteiübergreifenden Schritt haben Republikaner und Demokraten eine Anhörung im Kongress gefordert, die voraussichtlich nächste Woche beginnen wird.


Der Einfluss Europas


US-Politiker und Aufsichtsbehörden, die die Macht der Technikriesen begrenzen wollen, können sich von Europa inspirieren lassen. Die europäischen Behörden sind bei ihren Regulierungsbemühungen weitaus aggressiver vorgegangen und drohen unter anderem mit hohen Geldstrafen für Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen und wettbewerbswidriges Verhalten.


Die Europäische Union hat mit der im Jahr 2018 verabschiedeten Datenschutz-Grundverordnung die ersten wichtigen Gesetze zum Online-Datenschutz erlassen. Die EU-Vertreter haben seitdem eine Reihe von Verordnungsvorschlägen vorgelegt, die darauf abzielen, bestimmte Übernahmen zu blockieren, Hasskommentare einzudämmen und die Verbraucher besser darüber zu informieren, wie ihre Daten für gezielte Werbung verwendet werden können.


„Viele dieser Bestimmungen werden aufgrund der europäischen Vorschriften bereits von US-amerikanischen Internetplattformen umgesetzt“, so Brad Barrett, Analyst bei Capital Group, der sich mit werbefinanzierten Internetunternehmen beschäftigt. „Europa hat nicht viele nationale Marktführer in der Social-Media-Branche, daher ist es vielleicht einfacher, wenn die EU in diesem Bereich aggressiver vorgeht und die USA sich gegebenenfalls anschließen.“


Bisher, stellt Barrett fest, hatten die EU-Vorschriften keine großen Auswirkungen auf die Technologieunternehmen, was den Gewinn oder den Umsatz betrifft.


 


Die Aufsichtsbehörden stehen vor einem schweren Kampf


Die Bewertung der aufsichtsrechtlichen Risiken großer Technologieunternehmen ist eine komplexe Aufgabe, erklärt Barrett, angesichts der Tatsache, dass sie in verschiedenen Branchen mit sehr unterschiedlichen Wettbewerbsprofilen tätig sind - vom Einzelhandel über Werbung bis hin zum Fernsehen. Dennoch sind die Kartellverfahren gegen Google und Facebook nach seiner Einschätzung nicht sehr stark und werden wahrscheinlich nicht zu Zwangszerschlagungen führen.


Die Regierung steht vor einem „schweren Kampf“, um diese Fälle zu gewinnen, so Barrett. Das zeigt sich auch daran, dass einige Mitglieder des Kongresses auf Änderungen im Kartellrecht drängen.


„Das allein ist schon ein Eingeständnis, dass es schwierig ist, Kartellrechtsverstöße auf der Grundlage einer 20 bis 30 Jahre zurückreichenden Rechtsprechung festzustellen“, fügt er hinzu.


Ganz zu schweigen davon, dass viele der von Google und Facebook angebotenen Produkte kostenlos sind, was die traditionellen kartellrechtlichen Argumente, die sich auf die Preissetzungsmacht zur Bestimmung des Monopolstatus stützen, schwächt.


 


Ist das aufsichtsrechtliche Risiko bereits „eingepreist“?


Wie sollten Anleger die Aussichten für große Technologieunternehmen bewerten, wenn man bedenkt, dass es in den nächsten Jahren zu staatlichen Interventionen kommen könnte? Eine wichtige Frage, die man sich stellen muss, lautet: Spiegeln die Unternehmensbewertungen das Risiko wider? Mit anderen Worten, ist es in den Aktienkursen „eingepreist“?


Betrachtet man die FAANG-Aktien als Indikator für das aufsichtsrechtliche Risiko, so werden die beiden Unternehmen, die derzeit im Mittelpunkt wichtiger Klagen stehen - Facebook und Alphabet - zu deutlich niedrigeren Kurs-Gewinn-Verhältnissen gehandelt als beispielsweise Amazon und Netflix. Tatsächlich wird Facebook trotz seiner hohen Wachstumsrate und seines starken freien Cashflows nur knapp über dem durchschnittlichen KGV des Standard & Poor's 500 Composite Index gehandelt.


 


Letzte Woche meldete Facebook für das vierte Quartal einen Gewinn von 11,2 Mrd. USD, ein Anstieg von 52 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Alphabet, das mit einem etwas höheren KGV als Facebook gehandelt wird, meldete einen Quartalsgewinn von 15,7 Mrd. USD, ein Plus von 40 % gegenüber dem Vorjahr.


„Diese Unternehmen sind in großen und wachsenden Märkten tätig, sie haben lange Umsatzkanäle und sind sehr profitabel“, erklärt die Capital Group-Analystin Tracy Li, die sich mit Internetfirmen beschäftigt. „Wenn es die aufsichtsrechtlichen Risiken nicht gäbe, würden sie meiner Meinung nach zu höheren Multiplikatoren gehandelt.“


 


Risiko der Zerschlagung: Die Teile sind möglicherweise größer als das Ganze


Für den unwahrscheinlichen Fall, dass es bei einem oder mehreren dieser Unternehmen zu einer Zwangszerschlagung kommt, könnte ein vernünftiges Argument lauten, dass einige der ausgelagerten Bereiche für sich allein mehr wert sein könnten, merkt Li an. Tatsächlich können die Teile manchmal mehr wert sein als das Ganze.


WhatsApp zum Beispiel, das 2014 von Facebook übernommen wurde, macht derzeit keinen Gewinn. Als eigenständiges Unternehmen würde es jedoch aufgrund seiner Nutzerbasis von mehr als 2 Milliarden Menschen in 180 Ländern und der Möglichkeit, den Dienst in Zukunft zu monetarisieren, wahrscheinlich eine hohe Bewertung erhalten. Das Gleiche gilt für Instagram und Facebook Messenger.


„Die Tatsache, dass all diese Unternehmen unter einem Dach vereint sind, verstellt den Blick auf den Wert der einzelnen Unternehmen“, so Li. „Wie wir bei vergangenen Kartellverfahren gesehen haben, z. B. bei der Zerschlagung von AT&T oder Standard Oil, können die Ergebnisse auf lange Sicht für die Aktionäre durchaus vorteilhaft sein.“



Mark Casey ist ein Aktienportfoliomanager mit 18 Jahren Anlageerfahrung. Er besitzt einen MBA von Harvard und einen Bachelor von Yale.

 

Brad Barrett ist Research Director und verfügt über 19 Jahre Erfahrung in der Investmentbranche. Er befasst sich mit den Bereichen Medien, Kabel- und Satellitentechnik, werbefinanzierte Internetunternehmen und Telekommunikationsdienste in den USA. Brad hat einen Bachelor-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften vom Claremont McKenna College.

Tracy Li ist Investmentanalystin bei Capital Group und für das Research in Bezug auf Large-Cap-Banken und Internetfirmen in den USA zuständig. Sie besitzt einen MBA-Abschluss von der Stanford Graduate School of Business und einen Bachelor-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften vom Harvard College.


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