Erholung unter Beobachtung: Wann wird das Wachstum zurückkehren?
15. Oktober 2020
Mit: Jared Franz , Darrell Spence & Steve Watson
Im Überblick
- Es ist eine „VW“-Erholung zu erwarten: V in den Märkten, die von langfristigem Optimismus beflügelt werden, und W in der US-Wirtschaft aufgrund der kurzfristigen Herausforderungen durch COVID
- Ein US-BIP-Wachstum von 2 % bis 3 % bis Mitte 2021 ist dem Ökonom Jared Franz zufolge wahrscheinlich
- Die aufgestaute Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen dürfte zu großen Gewinnen führen, sobald das Virus unter Kontrolle ist
COVID-19 hat Ökonomen dazu gezwungen, die Virologie zu studieren.
„Der Virus ist die Wirtschaft“, so der US-Ökonom Jared Franz von Capital Group. „Alle wirtschaftlichen Wachstumsprognosen hängen vom Entwicklungsverlauf des Virus ab – ob es besser oder schlechter wird, ob wir einen wirksamen Impfstoff entwickeln können und ob staatliche Konjunkturmaßnahmen weiterhin die Einkommenslücken von Arbeitnehmenden schließen können, die von diesem unvorhergesehenen Abschwung getroffen wurden.“
Wann also wird das Wachstum wahrscheinlich wieder das Niveau erreichen, das es vor der Pandemie hatte? Bis Mitte 2021 erwartet Franz, dass die US-Wirtschaft mit einer jährlichen Wachstumsrate von etwa 2 % bis 3 % wachsen wird, angetrieben durch die aufgestaute Nachfrage infolge monatelanger Isolierungsmaßnahmen und durch die wachsende Wahrscheinlichkeit, dass ein Impfstoff für die Öffentlichkeit verfügbar wird, der die Pandemie beendet.
Aufgrund des hohen Maßes an Ungewissheit hat das Wirtschaftsteam von Capital Group eine Szenarioanalyse von V-förmigen, U-förmigen und W-förmigen Konjunkturerholungen zusammengestellt. Allerdings sagte Franz, dass auch „K-förmig“ – d. h., sich in zwei unterschiedliche Richtungen entwickelnd – angemessen sein könnten, angesichts des Ungleichgewichts zwischen den Sektoren, die von der Pandemie profitiert haben, und jenen, die daran zugrunde gegangen sind.
COVID verursacht eine tiefe Kluft in der US-Wirtschaft
Ein verblüffendes Merkmal des Abschwungs im Jahr 2020 ist, wie ungleich er verlaufen ist. In einigen Bereichen der US-Wirtschaft hat er das Niveau der Großen Depression erreicht: Restaurants, Hotels, Einzelhändler, Fluggesellschaften und, vielleicht am härtesten von allen, Tausende von Kleinunternehmen, die geschlossen wurden und vielleicht nie wieder zurückkehren. Aber für andere war es im wahrsten Sinne des Wortes die beste Zeit: Onlinehandel, Cloud Computing, Videostreaming und Baumärkte sind in der Wir-bleiben-zu-Hause-Zeit regelrecht in die Höhe geschossen.
Dasselbe gilt für Besserverdiener und Geringverdiener. Betrachtet man dies unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsplatzverlustes, so war der Abschwung im Jahr 2020 für Arbeitnehmer mit einem Jahreseinkommen von weniger als 27.000 US-Dollar viel gravierender – viele von ihnen können nicht im Homeoffice arbeiten – als für jene, die 60.000 US-Dollar oder mehr verdienen. Diese Diskrepanz führt natürlich zu sozialen Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind.
„Die Wirtschaft in der Zeit nach der Pandemie wird sich wahrscheinlich sehr stark von jener im Februar 2020 unterscheiden“, so Franz. „Sie wird effizienter und dynamischer sein als bisher, aber es wird Gewinner und Verlierer geben. Historisch betrachtet haben wir bei der Bewältigung der gesellschaftlichen Probleme, die aus so unterschiedlichen Ergebnissen resultieren, keine gute Arbeit geleistet.“
Kurzfristig wird die Erholung nicht ohne Reibung verlaufen
Die Ökonomen von Capital Group haben sich zudem die Risiken im Hinblick auf eine baldige Erholung angeschaut. Was, wenn wir nicht sofort einen Impfstoff zur Verfügung haben werden? Was, wenn sich die US-Regierung nicht auf ein neues Konjunkturpaket einigen kann? Was, wenn in den kommenden Monaten weitere Arbeitsplätze verloren gehen?
Diese Ängste wurden bereits durch die jüngsten Wirtschaftsdaten und eine Reihe von Entlassungsankündigungen großer amerikanischer Unternehmen unterstrichen. Nach Angaben des US-Handelsministeriums fiel das persönliche Einkommen im August um 2,7 %, was weitgehend auf Kürzungen der erweiterten Arbeitslosenunterstützung zurückzuführen ist. Allstate, American Airlines, United Airlines und Walt Disney kündigten in der vergangenen Woche größere Entlassungen an, da sich die Entscheidungsträger im Weißen Haus und im Kongress nicht auf ein neues Konjunkturpaket einigen konnten.
„Ich denke, wir werden in naher Zukunft eine äußerst holprige Erholung erleben“, so Capital Group-Ökonom Darrell Spence. „Seit März haben wir alles getan, was getan werden musste, außer das Virus so unter Kontrolle zu bringen, dass wir zu einer gewissen Normalität zurückkehren können. Jetzt laufen die fiskalischen Anreize aus, und wenn die US-Regierung nicht bald handelt, könnten wir in den kommenden Monaten mit einem viel schwierigeren Einkommensprofil konfrontiert sein.“
Im zweiten Quartal 2020 – von dem die jüngsten verfügbaren Daten stammen – schrumpfte die US-Wirtschaft um 31,4 % auf Jahresbasis, der stärkste Rückgang seit 70 Jahren. Da diese Daten jedoch den schlimmsten Zeitraum des Abschwungs von April bis Juni widerspiegeln, wird erwartet, dass das BIP des dritten Quartals eine erhebliche Erholung erfahren wird, da viele US-Staaten ihre Wirtschaft teilweise oder ganz wieder öffneten. Dieser Bericht soll am 29. Oktober veröffentlicht werden, fünf Tage vor der US-Präsidentschaftswahl.
Da der Tag der Wahl weniger als drei Wochen entfernt ist, könnte die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Aussichten der USA das Ergebnis beeinflussen. Am Sonntag bestätigte eine Umfrage von Washington Post-ABC News, dass die Wirtschaft das wichtigste Thema für Wählerinnen und Wähler ist – wichtiger als COVID im Verhältnis 2:1.
Auswirkungen auf Anlagen
Für Anleger hat der durch die Pandemie verursachte Abschwung vielleicht den größten Kontrast überhaupt erzeugt. Inmitten der schlimmsten wirtschaftlichen Rezession seit der Großen Depression erholten sich die US-Aktienpreise schnell von den Tiefstständen im März und erreichten im September neue Rekordhochs.
Vorreiter waren die Unternehmen mit einem soliden „digitalen Vorsprung“, darunter der E-Commerce-Riese Amazon, der Mikrochip-Hersteller NVIDIA und der Social-Media-Titan Facebook. Apple war unterdessen das erste US-Unternehmen in der Geschichte, das eine Bewertung von 2 Billionen Dollar erreichte.
„Der Markt sagt, dies sei ein katastrophales Jahr gewesen, aber es wird besser werden“, so Capital Group-Portfoliomanager Steve Watson. „Angesichts des außergewöhnlichen Charakters des Jahres 2020 denke ich, dass wir uns auf eine größere Volatilität in der Zukunft einstellen müssen, aber wir können auf lange Sicht immer noch gute, überzeugende Anlagen finden.“
Jared Franz
Wirtschaftswissenschaftler
Jared ist Wirtschaftswissenschaftler für die USA und Lateinamerika. Er verfügt über 14 Jahre Erfahrung in der Investitionsbranche. Bevor er 2014 zu Capital kam, war Jared Leiter der internationalen makroökonomischen Forschung bei der Hartford Investment Management Company und ein internationaler und US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler bei T. Rowe Price. Er hat einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften von der University of Illinois und einen Bachelor-Abschluss von Northwestern.
Darrell Spence
Wirtschaftswissenschaftler
Darrell ist Wirtschaftswissenschaftler und Forschungsdirektor mit 27 Jahren Investitionserfahrung, alle bei Capital (Stand 31.12.2019). Er erwarb einen Bachelor-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften am Occidental College und ist CFA-Charterholder.
Steve Watson
Aktien-Portfoliomanager
Steve ist ein Aktienportfoliomanager mit 33 Jahren Investitionserfahrung. Zu Beginn seiner Karriere bei Capital deckte er als Aktieninvestmentanalyst sowohl asiatische Immobilien- und Transportunternehmen als auch europäische Transport- und Versorgungsunternehmen ab. Er hat einen MBA und einen MA in Französisch von der New York University sowie einen Bachelor in Französisch von der University of Massachusetts.